Pink Guerilla
Daniel Ratthei
Monologstück für junge Erwachsene
1 D
Sunny ist 16. Sie schreibt gern, Lyrik vor allem. Am liebsten würde sie bei der Schülerzeitung mitarbeiten. Außerdem ist sie seit kurzem Bloggerin. Das hat sich so ergeben, seit sie neulich auf dem Heimweg von der Disko fast vergewaltigt worden wäre. Das Video von der Verfolgungsjagd hat sie online gestellt, es war ihr hinterher etwas peinlich, weil nur sie zu sehen ist. Vor allem aber hat sie eine Mordswut im Bauch. "Nix verstehen?" Ein Nein sollte doch klar sein.
Sunny macht sich viele Gedanken über die Rolle der Frau in der Gesellschaft. Sie beobachtet, dass diese vor allem in fremden Kulturen den Männern untergeordnet ist. Ausbildung, Freiheit, Arbeit – ob die Mädchen und Frauen das haben dürfen, soll irgendein Mullah entscheiden? Das Problem liegt für Sunny auf der Hand. Fremde, die in Deutschland machen dürfen, was sie wollen. Also postet sie weiter, berauscht von steigenden Klickzahlen und Komplimenten in den Kommentarspalten.
Die rechte Szene wird von Bloggern lebendig gehalten, darunter viele junge Frauen. In PINK GUERILLA zeigt Daniel Ratthei eine Teenagerin mit Unsicherheiten und künstlerischen Ambitionen, die mehr und mehr rassistischen Ideen verfällt. Die Bretter, die Sunny sich vor die Stirn nagelt, lassen schließlich kein Licht von außen mehr durch.
Ich scrolle nach unten. Über tausend Stimmen wispern mir entgegen. Die Stimmen dringen direkt in mich hinein. Wenn ich normalerweise Kommentare lese, geht es mir am Arsch vorbei.
Diese Stimmen sprechen zu mir. Dem Orakel von Delphi gleich. Ich lese jeden einzelnen Kommentar. Lese jede Antwort auf einen Kommentar. Lese jede Antwort auf die Antwort.
Es ist, als hörte ich die Stimmen. In echt. Im Zimmer. In meinem Kopf. Sie sind väterlich, brüderlich, schwesterlich. Sie sind lakonisch, wütend, besorgt. Sie wollen mich schützen, sie wollen trösten. Sie wollen mich vierteilen und mich vernichten.
UA Theater Ulm, 23.10.2020