Prometheus in Fesseln

Von Aischylos

Im Mittelpunkt der Handlung steht der Titan, der den Menschen gegen den Willen des Zeus das Feuer brachte und nun auf Befehl des höchsten Gottes in ferner Einöde an einen Felsen geschmiedet wird, ohne sich die Überzeugung von der Rechtmäßigkeit seiner Tat und den Willen zum Widerstand gegen Willkür und Grausamkeit rauben zu lassen.

„Prometheus in Fesseln“ unterscheidet sich von den übrigen uns bekannten Werken des Dichters durch einige inhaltliche Besonderheiten, vor allem aber durch nicht wenige Eigentümlichkeiten der Sprache. Einige Forscher haben daraufhin das Stück dem Aischylos abgesprochen und an einen unbekannten Dichter als Verfasser gedacht. In der Tat lassen sich die Züge, die dem Stück eine Sonderstellung einräumen, nicht übersehen; die Sprache zeichnet sich durch auffällige Schlichtheit aus. Aber man sollte angesichts der mehr als achtzig Dramen des Dichters, die wir nicht zum Vergleich heranziehen können, vorsichtig sein beim Fällen eines Urteils. Man sollte erkennen, dass unter den Papyrosfunden einige Verse des Aischylos auftauchten, die der Sprache des „Prometheus in Fesseln“ nahe stehen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden Eindrücke, die der Dichter während seiner Aufenthalte in Sizilien gewann, auf sprachlichem wie auf inhaltlichem Gebiet wirksam.

Die Szenenführung wird bestimmt von der Tatsache, dass der Held, wehrlos und reglos, die Bühne vom ersten Auftritt an nicht mehr verlässt. Erst als der Felsen, an den er geschmiedet ist, unter Donner und Blitz in die Tiefe sinkt, entschwindet auch Prometheus den Blicken der Zuschauer. Die sich stetig steigernde dramatische Spannung, die das Geschehen beherrscht, beruht auf dem Wesen der Persönlichkeit, die als leidende, zu unsagbarer Qual verurteilte vor Augen steht, und dem Wesen dessen, der durch seinen Befehl die Qual verhängt, zwar nicht selbst erscheint, aber als Träger der Macht dennoch gegenwärtig ist.

Aischylos hat den Titanen, weit hinaus über die bis dahin in der Dichtung übliche Auffassung von dem listigen, gewandten Feuerdieb, zu einem Retter und Wohltäter der Menschheit erhoben. Der „Vorbedacht“ erwächst zum Schöpfer der Zivilisation und Kultur. Aber dieser Schöpfer, der jetzt, wie der Henkersknecht Krates höhnisch zu ihm sagt, sich selbst nicht helfen kann, bleibt auch in tiefer Erniedrigung der Kundige, dessen Einsicht ihm die Kraft verleiht, der härtesten Marter standzuhalten. Er weiß um ein Ende der Qual. Die Vorgänge um dieses Ende bleiben noch unbestimmt.

Die wechselseitige Abhängigkeit des geknechteten wie auch des herrschenden Gottes stellt gerade im Widerstreit den Unterton des Stückes dar. Willkür und Grausamkeit des Machthabers scheinen keine Grenzen zu kennen.

Prometheus verkörpert den leidenden und ringenden, Zug um Zug die Bedingungen seiner Existenz erhöhenden und verbessernden, durch Not und Qual zum Erfolg vorstoßenden Menschen, Zeus steht für die auf Bewahrung ihrer selbst bedachte, subjektiv irrende, doch objektiv nicht unberechtigte Gewalt, die dem Übermaß der allenthalben wuchernden Kräfte Schranken setzt und, mit welchen Mitteln auch immer, um Möglichkeiten des Ausgleichs, des fruchtbaren Austausches, des einträchtigen Zusammenspiels ringt. Aischylos war Zeuge des Zwiespalts in der ihn umgebenden Welt. Der Kampf der Gegner wirkte umso eindringlicher auf ihn, als er die Notwendigkeit ihres gemeinsamen Handelns erkannte. Er wird einsichtig genug gewesen sein, ihre Unvereinbarkeit unter den gesellschaftlichen Voraussetzungen seiner Zeit zu begreifen.