Was wäre, wenn? Wie wäre das Leben verlaufen, hätte man sich damals anders entschieden? Gibt es eine Pflicht, sein Schicksal selbst zu bestimmen? Ausgehend von diesen Fragen erzählt Carsten Brandau in seinem STÜCK VOM HIMMEL (1 D | 3 H) Truffauts Geschichte der Ménage-à-trois von Catherine, Jules und Jim fort - und erweitert sie um die existenziellen Fragen, die sich stellen, wenn das Alter beginnt, die Menschen zu verändern. Ein Stück mit zwei wunderbaren Rollen für ältere Schauspieler!
„Sie und er. Catherine und Jules. Ein Paar, das ins Alter gekommen ist. Ein ganzes Leben haben sie gemeinsam durchschritten. Nach der Heirat kam der Krieg, auf die Ménage-à-trois folgte die Zweisamkeit. Liebe, Vertrauen, Gewohnheit. Tee und Topfpflanzen in einer Mietswohnung – einschließlich verbautem Blick aus dem Fenster.
Eine Krankheit hat sich in das Leben der beiden geschlichen: Bei Catherine wurden erste Symptome von Demenz diagnostiziert. Alzheimer. Zwar befindet sich Catherines Erkrankung noch im Anfangsstadium und wirkt sich bislang kaum auf das tägliche Leben aus, doch trotzdem: Im Angesicht der vermeintlich absehbaren Zukunft wird das Beziehungsleben des Paars kräftig durcheinander gewirbelt. Erinnerungen kommen hoch, alte Wunden brechen auf.
Catherine hat Angst. Mit der Diagnose kann sie leben. Nicht aber mit der Vorstellung, dass Jules sie zu Tode pflegt. Dass sie schon sehr bald ihr Bewusstsein von der Realität verlieren und ihren Jules nicht mehr erkennen wird. Dass ihnen ihre Liebe abhanden kommen wird. Und dass Jules am Ende vielleicht sogar noch froh sein wird, wenn seine Catherine, die ihm im Verlauf der Krankheit immer fremder geworden sein wird, tot ist. Das will Catherine nicht. Sie will nicht, dass der alte Lieblingsfilm ins Stocken gerät. Sie will, dass es ein Ende hat.
Andererseits weiß Catherine aber auch, dass Jules sie nie verlassen wird. Dass Jules sie niemals gehen lassen wird. Weil das sein Charakter ist. Er ist die Selbstlosigkeit in Person. Und deshalb ist ihr klar, dass sie ihn zu diesem Ende zwingen muss.
Catherine spielt Jules vor, dass ihre Krankheit schon fortgeschritten ist. Wohl kalkuliert halluziniert sie den toten Jim in ihr Leben zurück. Jenen Jim, mit dem die beiden mal in einer Ménage-à-trois gelebt haben. Der mal Jules' bester Freund gewesen ist. Und den Catherine so viel mehr, so viel intensiver geliebt hat, wie sie Jules nun unmissverständlich kundtut. Catherine will Jules derartig verletzen, dass er sie endlich verlässt. Doch so sehr sie ihm auch weh tut – Jules bleibt.
Und so entwickelt Catherine einen zweiten, einen sehr viel weiter gehenden Plan: Damit Jules am eigenen Körper spürt, dass er die ganze Zeit nur zweite Wahl war, spielt sie Jules vor, dass sie ihn für Jim halte. Unwillkürlich – oder vielleicht doch mit vollem Kalkül – zielt sie somit auf das gewaltsame Ende ab, das Catherine und Jim in Truffauts „Jules und Jim“ nehmen. Als Jules hierauf von dem jungen Mann, der für das Paar die Einkäufe erledigt und schon seit Tagen – als wäre er der nahende Tod – in ihrer Wohnung ein und aus geht, hingewiesen wird, entschließt sich Jules, die Geschichte auf seine ganz eigene Art in die Hand zu nehmen...
„Stück vom Himmel“ ist ein Text über das Leben und die Liebe – und über das Ende. Es geht um den Verlust eines geliebten Menschen, um das Abhandenkommen der großen Liebe – um den Schmerz, wenn Krankheit und Tod zwei Menschen auseinander reißen. Und somit geht es auch um die Frage: Inwieweit dürfen wir die Geschehnisse, das Schicksal in die eigene Hand nehmen – inwieweit müssen wir es sogar? Und nicht zuletzt: Gibt es einen Regisseur? Einen, der das Drehbuch schon längst geschrieben, unsere Geschichte schon längst erzählt hat?“ (Carsten Brandau über STÜCK VOM HIMMEL)