Neue Strindbergübersetzung: TOTENTANZ I und II

Was tun, wenn man nichts ist, nichts weiß, nichts kann und nichts hat? Dann braucht man Macht, denn Macht macht es möglich, etwas zu sein, was man nicht ist. Und wie erlangt man Macht? Indem man andere Menschen aussaugt, wie ein Vampir, ihnen alles wegnimmt und es für sein Eigenes ausgibt.

Der Artilleriehauptmann Edgar und seine Frau Alice sind am Ende. Seit einem Vierteljahrhundert leben sie im Festungsturm einer Insel. Ihre Silberhochzeit steht bevor. Eigentlich Grund zu feiern, aber der Weinkeller ist schon lange leer und die Vorräte verbraucht. Alle, selbst die eigenen Kinder haben sich von dem Paar abgewandt. Isoliert und sich selbst überlassen, beleidigen und erniedrigen sie sich gegenseitig. Da taucht Kurt auf, Alices Vetter und Edgars Jugendfreund. Er soll die Quarantänestation auf der Insel übernehmen und gerät mitten hinein in die „Kleinhölle“, wie die Insel von den Leuten genannt wird. Der Hauptmann wittert seine Chance: aus Kurt wird der „Vampir“ ein neues Leben saugen.

Das zweiteilige Drama „Totentanz“ (1900) ist in der modernen Dramatik bekannt als das extremste Stück über den Machtkampf zwischen Mann und Frau. Dennoch ist der Geschlechterkampf nicht das einzige oder wichtigste Thema des Dramas. TOTENTANZ beschreibt die Grenzen und Abhängigkeiten im menschlichen Zusammenleben und ist auch ein existentialistisches Stück über Krankheit, Tod und Macht. Interessanterweise sah Strindberg in seinem ersten Entwurf ursprünglich den Titel „Der Vampir“ vor, was auf den Zusammenhang zwischen diesen drei Faktoren hinweist, und in Teil II wird der machtvolle „Vampirismus“ des Hauptmanns ja auch Realität.
Strindbergs zentrales Thema ist aktueller denn je: der Machtkampf des Individuums, mit dem Partner, mit der Gesellschaft und ihren Institutionen und mit den nicht definierbaren, okkulten Mächten (makterna). Der Hauptmann verkörpert den Machtmenschen schlechthin. In der Figur EDGAR beschrieb Strindberg bereits vor Sigmund Freud den Minderwertigkeitskomplex als Antrieb für Machthunger. Edgars körperlichen, geistigen und menschlichen Schwächen machen ihn zum „Vampir“. Er „saugt“ Leben aus Anderen, weil er selbst „tot“ ist.

August Strindberg gilt international als einer der bedeutendsten und einflussreichsten Dramatiker. Seine Nach-Inferno-Stücke sind die Vorläufer des literarischen Symbolismus, Expressionismus und Surrealismus. Der DREIMASKEN VERLAG beheimatet als einziger deutscher Theaterverlag das dramatische Gesamtwerk August Strindbergs in der renommierten, noch vom Autor autorisierten Übersetzung von Emil Schering. Neben dieser zeithistorisch bedeutsamen Übersetzung wird jetzt eine Neuübersetzung mit dem Übersetzerpaar Christine Richter-Nilsson und Bo Magnus Nilsson vorgelegt: der Drei Masken Verlag beginnt die Reihe mit TOTENTANZ I und II und GESPENSTERSONATE (in Vorbereitung).
Christine Richter-Nilsson ist Schauspieldramaturgin am Bremer Theater und lebte einige Zeit in Schweden. Bo Magnus Nilsson ist in Åker, Schweden, geboren. Seit 1996 lebt er in Deutschland und arbeitet als Autor und Übersetzer. Im Team haben sie die Stockholmer historisch-kritische Strindberg-Gesamtausgabe (Nationalupplagan) noch einmal genau unter die Lupe genommen, um wieder einen frischen Blick auf die Originalaussage des Autors zu bekommen und immer wieder tradierte Übersetzungsfehler zu beheben, die häufig auf den scheinbaren Ähnlichkeiten der beiden Sprachen beruhen.
Dem Übersetzer-Team ist es gelungen, für die erstaunlich moderne und umgangssprachlich gefärbte Sprache des Urtextes eine idiomatische und moderne Entsprechung im Deutschen zu finden. Ihr Neuzugang ist direkt und sehr präzise. Vor allem zeichnet sich die Neuübersetzung aus durch ein feines Gespür für die manchmal skurrile Wortwahl und absurden Formulierungen des Autors, die die spannungsreiche und rätselhafte Grundatmosphäre der Szenen bestimmen. Ziel der Neuübersetzung ist es auch, den abgründigen Humor und den absurden Stil, durch den August Strindberg seiner Zeit weit voraus ist, zu erhalten. Die Repliken werden in ihrer ganzen rasanten Schlagfertigkeit, aber auch in ihrer subversiven Widersprüchlichkeit den Schauspielern in den Mund gelegt.
Prägnant und bitterböse, wild und originell, mystisch und modern! Zum Todspielen!