Ralf-Günter Krolkiewicz ist tot

Völlig überraschend und unfassbar ist unser Autor Ralf-Günter Krolkiewicz 52-jährig im thailändischen Phuket gestorben. Krolkiewicz, der auch als Maler, Lyriker, Prosaautor, Schauspieler, Regisseur und Intendant (in Potsdam) tätig war, hat im Drei Masken Verlag seine Theaterstücke der letzten Jahre verlegen lassen. Sein letztes Theaterstück ICH JEANNE (ein Auftragswerk) steht im Jungen Staatstheater Wiesbaden im Repertoire.

Als Dramatiker hatte er es schwer, im deutschen Theater erkannt und anerkannt zu werden: trotz seines hohen literarischen Niveaus, seiner erzählerischen Fabulierkunst und einer ausgesprochen szenischen Plastizität seiner Figuren wurden seine Stücke nicht oft aufgeführt. . Enttäuscht vom Theater, hat er sich in die Malerei gestürzt. Trotzdem blieb seine (Hass)Liebe das Theater, und voller Phantasie und mit einer Unmenge von Plänen für neue Stücke, ist er vor wenigen Monaten nach Thailand aufgebrochen. Er wollte dort ein neues Leben beginnen. Es war seine letzte große Reise.

Mit einer unbändigen Schaffenskraft (und Schaffenswut) beschreibt er in seinem Werk die Zerissenheit, in der Menschen heute zwischen Ost und West, zwischen einem notdürftig eingerichteten Heute und der Vergangenheit sich aufreiben. Krolkiewicz schreibt mit Witz und Schärfe und erzählt dabei immer Geschichten. Er ist ein theatralischer Fabulierer mit einer sehr besonderen und eigenwilligen, fast lyrischen Sprachführung. Er blieb ein Grenzgänger, seine ungebändigte künstlerische Ausdruckskraft versuchte sich in vielen Kunstrichtungen, mitunter wollte er einfach viel zu viel, eruptiv brachen die Sprache, die Geschichten und die Malerei aus ihm hervor. Das Theater blieb das Zentrum, mit einer großen, geradezu zärtlichen Zuneigung zu den Schauspielern. Als er sich nach Thailand zurückzog (für ihn war es immer ein Aufbruch!), versuchten wir, ihn wieder nach Deutschland zu locken: "Komm zurück!" war meine letzte mail an ihn. Komm zurück, lieber Krolkiewicz, auf die Bühne, ins Theater! - Jetzt bleibt uns nur die Hoffnung, dass seine Stücke endlich posthum den Platz im Theater finden, der ihn gebührend achtet und beachtet.

"sonst is alles wie immer" wurde 2004 mit dem Autorenpreis des Heidelberger Stückemarktes ausgezeichnet und im Theater 89 (2006) in Berlin uraufgeführt, "Herbertshof" (Theaterstückverlag) in Potsdam, ABU DHABI auf dem Augsburger Stückewettbewerb (2007) szenisch gelesen, ICH JEANNE in Wiesbaden (2008) im Jungen Staatstheater. Die anderen Stücke wurden bislang nicht erstaufgeführt. Sie sind hochbrisante Zeitstücke.
Guido Huller

Die nächsten Vorstellungen von ICH JEANNE in Wiesbaden sind am 15. und 17. Februar 2009.


Ralf-Günther Krolkiewicz (1955-2008)

abu dhabi oder der apokalyptische tag (2007)
5 D, 5 H

New York, 11. September 2001 – Menschen fliehen vor der Katastrophe. Leah rennt panisch mit ihrer Katze weg von dem „stockwerkstürzenden Glasfassadentod“ hin zur anderen Seite der Stadt. In einem Café trifft sie auf Gestrandete, die ihrem privaten Terror entflohen sind. Als Leah zurück in ihre Wohnung möchte, wird sie von der Polizei festgenommen und gerät selbst unter Terrorverdacht.

ABU DHABI ist „das bislang einzige deutschsprachige Theaterstück, in dem die Anschläge auf das World Trade Center nicht nur erwähnt, sondern dargestellt werden. (…) abu dhabi lässt kaleidoskopisch Amerikaner und Europäer, Araber und Juden auftreten und in Monologen und Dialogen von ihren Vorstellungen und Erlebnissen berichten. Auf diese Weise führt das Stück einen Teufelskreis aus Angst, Hass und Gewalt vor Augen.“
(Tom Kindt, Bleibt alles anders, wird alles gleich. Der 11. September im deutschsprachigen Drama, in: Ingo Irsliger/Christoph Jürgensen, Nine Eleven. Ästhetische Verarbeitungen des 11. September 2001, Heidelberg 2008)
Teilnahme am Augsburger „stuecke.wettbewerb 07“, Werkstattinszenierung Juni 2007

aufgegabelt (2006)
Groteske über das Zusammensein
1 D, 1 H
Conchita ist eine deutsch-mexikanische Bahnhofshure. Sie trifft auf einen Freier namens Ewald. Beim ersten Schäferstündchen ist er gehemmt und versagt, weil nebenan der kleine Sohn von Conchita schreit. Aus dieser Alltagssituation entwickelt sich eine schillernde Liebesgeschichte. Am Ende erscheint eine geheimnisvolle Göttin: Ewald soll Conchita heiraten, aber Glück ist den beiden nicht beschieden…

mein taubentraum (2005)
Ein Drama für die Stimme meiner Mutter
1 D, 1 H
Lene hat den Arzt geholt, um herauszubekommen, warum ihr Mann Karl seit beinahe zehn Jahren nicht mehr mit ihr redet. Karl war Funktionär in der DDR, doch wegen politischer „Umtriebe“ seines Sohnes war seine Karriere verbaut. Als Lene droht zu gehen, redet er…

vergesst weimar! (2005)
niemand als ich
1 H
Eine Wortkaskade in bester Thomas-Bernhard-Tradition: Ein alt gedienter Schauspieler am Theater in Dessau, erinnert sich an sein (Theater-)Leben. Ein sehr persönliches, direktes und bösartiges Stück über das Theater, das Leben und den Tod.

bratwursthimmel (2004)
hässliche sozialtragödie in sieben bildern, die sich in tagträumen verliert
3 D, 1 H
Kein Himmel voller Geigen: Alfons, ohne Arbeit, von seiner Frau verlassen, quartiert sich bei seiner Mutter ein und stellt seine thailändische Freundin Ramona vor. Die bringt einen Koffer voller Teebeutel und einen voller Strapse mit… daraus entsteht eine Verkaufseuphorie, die platzt wie eine Seifenblase. Ein schräges Stück über die Hoffnung auf den Turbokapitalismus der kleinen Leute. Eine deutsach-deutsche Farce.

da drüben is amerika (2004)
2 D, 5 H
Spielort: eine Küste in Portugal, am „Rande“ Europas mit Blick auf Amerika. Zwei junge Männer, Deutsche, die mit dem Surfbrett unter dem Arm in einer anderen Lebenskultur sich eine neue Identität suchen - und den großen Traum von Amerika träumen. Besucht werden sie von einer jungen Schauspielelevin aus Deutschland, die alle nervt. Ein ansässiger Wirt hadert mit seinem Sohn, der lieber eine Frau wäre und von der großen Welt in der Stadt träumt. Ein Pole, der einen Unfall hatte, taucht plötzlich auf, er trifft auf seine Mutter, die längst im Himmel sein sollte…ein Panoptikum der Gestrandeten, die aufbrechen möchten, und nicht fort kommen! Amerika bleibt ein Traum.

paulradio (2003)
2 D, 2 H
Eine Wohnküche. Sohn Paul (56) lebt bei der Mutter zu Hause und entschlüsselt Tagebuchaufzeichnungen seines verstorbenen Vaters, der im KZ Aufseher war, und mit am Tisch sitzt. Die Geister verfolgen Paul, der Vater „sitzt ihm im Nacken“. Ein beklemmendes Studiostück.

rosenhügel vier (2003)
3 D
Drei Frauen: Carla, 34, wohnt alleine in einer Plattenbausiedlung im Osten. Ihre Kontakte zur Außenwelt vollziehen sich meist durch Telefongespräche zur Mutter, die sich nicht entscheiden kann, zu welcher Tochter sie ziehen soll. Andrea, ihre 14-jährige Tochter kommt zurück. Sie wurde schwanger, aber nicht von ihrem pubertierenden Freund, sondern von einem älteren Arbeitskollegen ihres Vaters, der sich in den Westen abgesetzt hatte. Carla überlegt den werdenden Kindsvater einzuladen, um ihn zu vergiften….Ost-West Geschichten, wie Träume vom gesamtdeutschen Glück zerplatzen.

sonst is alles wie immer (2003)
Tragikomödie in 13 Einstellungen
6 D, 5 H
In dieser „schwarzen“ deutsch-deutschen Komödie, die Anfang der neunziger Jahre im Raum Erfurt spielt, geht es feuchtfröhlich zu: Vier Schwestern feiern zu Hause den 90. Geburtstag ihres Vaters, der zugleich sein Todestag wird. Die feiernden Schwestern haben sehr unterschiedliche Biografien: eine lebt mit einem Polen zusammen, der wunderbar Ziehharmonika spielt, eine andere lebt mit einer Frau zusammen und wieder eine hat einen Jungen bei der Bundeswehr, der sich zu den Nazi hingezogen fühlt. Frauen, die mitten im Leben stehen, das Leben geniessen, auch obwohl es soviel nicht zum Feiern gibt. Eine (seltene) deutsche Gegenwarts-Komödie in Deutschland, zeitkritisch und voller Leben
Autorenpreis des Heidelberger Stückemarktes 2004
UA Theater 89 Berlin, Februar 2006

Stücke für ein junges Publikum:

ich jeanne (2007)
6 D, 7 H, Mehrfachbes. möglich
„Was Krolikiewicz’ Auftragswerk für das Junge Staatstheater leistet, ist mehr als eine Übertragung einer alten Geschichte in die Gegenwart, biedern sich doch das Stück, sein Autor und nicht zuletzt die Inszenierung niemals an. Weder bei Schiller noch beim jugendlichen Publikum. Dafür ist Jeanne (…) viel zu facettenreich. Widersprüchlich, mit gelegentlichen Visionen und Gesichten hier und der Sehnsucht nach Liebhabern statt Feinden dort, zuweilen auf der kindlichen Suche nach Geborgenheit, mal Heldin, mal Opfer von Männern, Eifersucht und Intrigen.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. März 2008)
UA am Jungen Staatstheater Wiesbaden, 8. März 2008

confused (Verwirrung) (2004)
3 D, 3 H
Eva, Luise, Paul, Hans, Jana und Bernie erfahren, was es heißt, eifersüchtig zu sein, sie erleben zum ersten Mal Anfang und Ende von Beziehungen. Es ist das erste Spiel mit der Liebe. Aus Spiel wird Ernst, aus Ernst Verzweiflung und Tod.

hundespiel (2004)
1 H
Ein Monolog eines jungen Menschen, der Boxer werden möchte: Eine „Ostbiographie“, die aber auch im Westen hätte stattfinden können. Ein Junge möchte sich nach oben kämpfen. Boxen hilft.