König Ödipus

( Οιδίποδας Idípodas)

Von Sophokles

Übersetzt von Dietrich Ebener

Originalsprache: Griechisch

Im „König Oidipus“ war dem Labdakos-Enkel nach der Lösung des Rätsels der Sphinx die Herrschaft über Theben und die Hand der verwitweten Königsgattin Iokaste angetragen worden. Gewissenhaft versieht er die Herrscherpflichten. Als in Theben eine Pest ausbricht, erteilt das befragte delphische Orakel ihm die Auskunft, er müsse, um die Seuche zu bannen, den Mörder des Vorgänger, des Königs Laios, ausfindig machen und bestrafen. Seine Nachforschungen entlarven ihn, den Ahnungslosen, als Mörder seines Vaters und zugleich als Gatten seiner Mutter, gemäß einem ihm früher erteilten Orakelspruch, dessen Erfüllung zu vermeiden er alle Anstrengungen unternommen hatte. In seiner Verzweiflung beraubt er sich selber des Augenlichts; Iokaste erhängt sich. Als blinder Bettler zieht Oidipus in die Fremde.

Die entscheidende Leistung des Dichters zeigt sich hier darin, dass der Held das Orakel im eigentlichen Sinne gar nicht nötig hat. Ob er es nun gewusst hätte oder nicht, er handelt seinem Wesen gemäß und würde in gleicher Situation genauso gehandelt haben auch ohne die Kenntnis des Orakels, das ihm gleichsam auf den Leib geschrieben war. Der Held wird schuldlos schuldig, freilich nur, wenn man die Taten auf den Wortlaut des Orakels einengt.

Oidipus wird zum Sinnbild des unbestechlichen Wahrheitssuchers, der, ihn selber treffende unheilvolle Enthüllungen nicht scheuend, Zug um Zug die Schleier der Vergangenheit zurückschlägt, bis ihm die letzte noch verbliebene Unklarheit unmissverständlich ihre Geheimnisse bloßlegt. Die Suche selbst bietet dem Suchenden in ihrem erregenden Auf und Ab Gelegenheit, noch einmal jene Seiten seines Charakters in aller Deutlichkeit zu zeigen, die ihn zum Vollbringen der aufzuklärenden Handlungen führten.

Oidipus wird, ohne Schuld im rechtlichen Sinne, gerade durch sein Bemühen, das Verbrechen zu vermeiden, zum Täter, führt gerade durch sein unbeirrtes Streben nach Aufdeckung der Wahrheit seinen eigenen Untergang herbei, kurz, bleibt stets selber der verantwortlich Handelnde, unermüdlich Strebende und vollendet damit ein irdisches Dasein.