Hatte der Dichter des „Aias“ mit der Person der Tekmessa eine einprägsame, freilich weithin im Schatten des Haupthelden stehende Frauengestalt auf die Bühne gebracht, so stellt er in den „Trachinierinnen“ eine solche in den Mittelpunkt des Geschehens. Deianeira hat das für die Frau der Antike übliche Schicksal erfahren. Auf die Wahl ihres Lebenspartners hat sie keinen Einfluss gehabt. Von den beiden Bewerbern, die sich um sie im Zweikampf maßen, hat sie aufatmend den Herakles als Sieger und Gatten empfangen, nicht weil sie ihn liebte, sondern weil der Verlierer des Kampfes, Acheloos, sie mit Abscheu und Schrecken erfüllte. Ihre Ehe ist nicht als glücklich, wohl aber als erträglich zu bezeichnen. Ihre Aufgaben als Herrin des Hauses und als Betreuerin und Erzieherin ihrer Kinder erfüllt sie pflichtgetreu. Diese Pflicht fesselt sie auch an den Gatten und lässt sie Verantwortung für ihn mitempfinden, wenn sie sich auch keineswegs durch eine tiefe Neigung an ihn gebunden fühlt. Letztere kann schon deshalb nicht entstehen, weil der Held jeweils nur für kurze Frist zu Hause weilt. Die gefahrvollen Aufgaben, die seiner harren, halten ihn die längste Zeit in der Fremde. Von den Liebesabenteuern des Helden erhält sie Nachricht, nimmt sie jedoch gelassen hin. Sie hat ihren unbestrittenen Wirkungsbereich fürstlichen Ranges und kann, umgeben von einer treu ergebenen Dienerschaft, im Gedankeaustausch mit Freundinnen aus Trachis, mit ihrem Los zufrieden sein. Lediglich die Angst um den in der Ferne weilenden Gatten quält sie unaufhörlich. Sie weiß um ihre soziale Abhängigkeit und muss für den Fall, dass er in einem der ihm aufgetragenen Kämpfe den Tod erleidet, mit schweren Nachteilen rechnen. Ein von ihm hinterlassenes Testament, das zwar ihren Besitzstand sichert, aber eine drohende Voraussage enthält, flößt ihr besondere Befürchtungen ein.
Aber das Leid, dem sie erliegen soll, ist anderer Natur. Zum ersten Male in lange schon währender Ehe sieht sie sich vor die Tatsache gestellt, dass ihr Gatte eine Geliebte mit in sein Haus bringt. Unter einem Dach soll sie mit der jungen und schönen Iole künftig leben, ihre Rechte als Gattin mit der anderen teilen. Ihr Stolz und ihre Würde bäumen sich gegen die ihr zugewiesene Rolle auf. In ihrer Not greift sie, die Ehrliche, jedem Trug, jedem zweifelhaften Mittel Abgeneigte, zu jenem vermeintlichen Liebeszauber, den der Kentaur Nessos ihr einst als Werkzeug seiner Rache überreichte. Der Versuch, sich der Neigung des Gatten weiterhin zu versichern, scheitert, er führt in die Katastrophe: Herakles stirbt unter furchtbaren Qualen; die Mörderin wider Willen gibt sich selbst den Tod.