Packendes Portrait einer Familie im Wandel von Zeit, Politik und Gesellschaft: DIE VATERLOSEN von Csaba Mikó

Sieben Figuren schildern aus ihrer individuellen Sicht anhand mehrerer prägender Familienereignisse die Geschichte ihrer Geschwister und Eltern in Ungarn. Mit Anfang in den 70ern wird fast ein halbes Jahrhundert anhand der Schicksale der recht unterschiedlichen Familienmitglieder skizziert. Zwischen finanzieller Not und Verzweiflung der zwei Schwestern und vier Brüder spinnen sich Lebensträume und Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. Der Vater ist einer der Verlierer des Systemwechsels. Ständig abwesend, um als LKW-Fahrer für den Unterhalt der Kinder zu sorgen, hat er längst seine Autorität und jegliche Beziehung zu den Seinen verloren. Umso mehr erwarten alle Familienmitglieder voneinander Rückhalt und Vertrauen, Sicherheit und Zuversicht, sind aber nicht fähig sich gegenseitig zu stützen. So verschieden die einzelnen Figuren sich in ihren Wunschträumen zu erkennen geben, so sehr gleichen sie sich doch in ihrem Egoismus und der Gier nach Anerkennung und Erfolg. Mit gescheitertem Familienleben, zerrüttetem Eheleben, sozialer Isolation und Orientierungslosigkeit die eigene Zukunft betreffend finden sich schließlich die Geschwister am Totenbett des Vaters wieder. Jeder sucht die Schuld beim anderen, aggressiv, ernüchtert. Die eigene Familie wird schließlich komplett in Frage gestellt.

Das Stück Mikós lebt insbesondere von der gelungenen multiperspektivischen, kontrastreichen Beschreibung verschiedener Familienfeiern und Schnittpunkte des Aufeinandertreffens der sieben Figuren. Die gleich einem Mantra wiederholte Glorifizierung der Familie erweist sich als blindes Credo, für das niemand bereit ist etwas zu opfern. So muss es schließlich zum Scheitern der vermeintlichen Gemeinschaft kommen. Philosoph und Schriftsteller Peter Esterhazy sagt, dass das Ungarn der letzten Jahrzehnte vaterlos im Sinne von orientierungslos ist. Mikó ist ein beklemmendes und in seinem Detailreichtum packendes Familienporträt gelungen, das sowohl das individuelle Schicksal einer Familie als auch die allgemeine gesellschaftliche Situation des ganzen Landes abzubilden vermag.