Regeln sind überall. Normalerweise sind es die Erwachsenen, die darüber entscheiden. Sie stellen Regeln auf, die für Kinder gelten, und die Kinder haben dann gefälligst folgsam zu sein. Erwachsene bestimmen zum Beispiel, wann Kinder ins Bett zu gehen haben, was es zu essen gibt und wann der Fernseher ausgeschaltet wird. Aber was wäre, wenn auf einmal die Rollen vertauscht wären? Wenn die Kinder groß würden und die Erwachsenen schrumpfen? Drehen die Kinder den Spieß um und schicken ihre Eltern in die Schule? Aber wer geht dann zur Arbeit? Chaos ist vorprogrammiert! Und dennoch, es kann sehr bereichernd sein, die Welt auch mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten und vielleicht einige neue Regeln aufzustellen. Mit viel Witz und Fantasie geht das Stück den sehr aktuellen Fragen nach Mitbestimmung und gegenseitigem Respekt in allen Lebensbereichen nach. (Theater Heilbronn) Die Arbeit der Autorin am Theaterstück wurde vom Deutschen Literaturfonds e.V. gefördert.
Der alte Baron fühlt sich nicht mehr wohl in seinem Anwesen, seit seine Kinder einen ganz besonderen Gast einquartiert haben: Alban Armand, Arzt seiner Tochter Marie, Mentor seines Sohnes Ottmar und seines Zeichens Magnetiseur. Was genau dieser neumodische Magnetismus ist, weiß der Baron nicht, aber die Technik ist ihm suspekt – umso mehr, da Ottmar voller naiver Begeisterung für den Magnetismus ist, während Maries Gesundheitszustand sich zwar einerseits verbessert, sie andererseits in vielen Momenten aber gar nicht wiederzuerkennen ist. Dazu kommen die unangenehmen Träume, von denen der Baron neuerdings heimgesucht wird. Handelt es sich um düstere Vorahnungen oder einfach nur um Angst vor dem Fortschritt? Welches Spiel wird im Hause des Barons gespielt und ist der mysteriöse Magnetiseur vielleicht selbst nur eine weitere Spielfigur? Hoffmanns Erzählung lässt viel Raum für aktuelle Interpretationsansätze. Gedankenkontrolle, Sektierertum, Populismus, Esoterik, unbeherrschbare Technologien, Künstliche Intelligenz – für all das finden sich Deutungsmöglichkeiten in der über 200 Jahre alten Geschichte. Ursula Kohlert hat die Erzählung in eine moderne, aber originalgetreue Theaterfassung gegossen, die ganz im Hoffmannschen Stil einen assoziativen Raum öffnet, in dem es nicht um die Antworten, sondern um die Fragen geht. Fragen, und das ist das Tröstliche an der vorliegenden Dramatisierung, die bereits zu Hoffmans Zeiten gestellt wurden und die uns zeigen, dass die Welt auch gestern schon als seltsam wahrgenommen wurde und die Orientierung darin noch nie einfach war.
Wenn man in einer Welt voller Möglichkeiten nicht glücklich ist, dann kann es dafür nur eine Erklärung geben: persönliches Versagen. Um ein nützliches Mitglied einer spätkapitalistischen westlichen Gesellschaft zu sein, ist also Selbstfürsorge angesagt, denn Selbstfürsorge ist Selbstoptimierung! Wer austherapiert und ausoptimiert ist, der macht einfach bei Freunden und Familie weiter. Und wenn diese nicht offen sind für all die guten Ratschläge, bleibt immer noch die Laufbahn als Life Coach oder Verfasser:in von Ratgeberbüchern. LIV, LOVE, LAUGH STRÖMQUIST eröffnet eine breite Leinwand für die Projektion von Gesellschaft, auf eine junge, bissige und unheimlich witzige Art. In der dritten Arbeit des Autorinnenteams Berger/Strömquist geht es auch diesmal um das, was wir alle kennen, betrachtet aus einer Perspektive, die wir so noch nie eingenommen haben. In unverwechselbarem Ton und ohne Scheu vor brisanten Themen und Groteske umkreist das Stück die Essenz des menschlichen Egos – und weckt eine Ahnung davon, was passieren könnte, wenn wir alle einfach einmal aufhören würden, die Essenz des menschlichen Egos zu umkreisen.
Warum ließen sich Menschen schon vor Jahrtausenden mumifizieren? Die Vergänglichkeit treibt die Lebenden zu allen Zeiten um. Vielleicht ist es aber tatsächlich möglich, sie zu umgehen. Gibt es einen Weg, sich für spätere Zeiten konservieren zu lassen, vielleicht sogar derart, dass der Mensch mitsamt seinem Bewusstsein wieder erwachen kann? In seinem neuen Hörspiel erzählt Markus Orths die Geschichte von Paul, der sich kryonisieren, also einfrieren lassen möchte, um den Tod ein Schnippchen zu schlagen.
Mit seinem Abenteurerroman GULLIVERS REISEN landete Jonathan Swift im 18. Jahrhundert einen Welterfolg. Aus der literarischen Vorlage hat Autor Manuel Schöbel ein wunderbar unterhaltsames Familienstück gemacht, das Jung und Alt in eine andere Welt entführt... Auf einer seiner Reisen entdeckt Gulliver eine Insel - die Insel Lilliput - auf der Däumlinge wohnen. Erstaunt lernt Gulliver die Gewohnheiten der kleinen Insulaner kennen - und muss doch auch feststellen, dass es auf Lilliput nicht anders zugeht als in seinem Heimatland : Die Lilliputaner haben ihr Parlament, ihre Regierung, debattieren, intrigieren, führen mit dem Nachbarstaat Krieg. Ihre Wichtigtuerei und Eitelkeit erscheinen nichts als lächerlich und doch allzu vertraut.
In einem alten Haus versammeln sich geisterhafte, untote Gestalten zu einem Essen: der Alte, Direktor Hummel, im Rollstuhl, einer der über andere richten will, sich aber dann selber als Gauner entpuppt, die alte Hausherrin, die als Mumie in einem Schrank lebt, deren Gatte, der Oberst, der weder Oberst noch adlig ist, sondern auch nur ein Verbrecher, die Tochter, die eigentlich die Tochter des Alten ist, ein armer Student, der in Liebe zur Tochter entflammt. Nichts geschieht, nichts wird mitgeteilt in diesem Kammerspiel, was man nicht schon wüsste über die Oberschicht bürgerlicher Gesellschaft. Der eben verstorbene, als Toter herumgeisternde Konsul, der steif-vornehme Oberst, dessen mumifizierte Frau, der kauzige Baron, sie alle sind korrupt. Strindberg setzt die verzerrten Traumdimensionen seiner Figuren in steten Konflikt mit szenisch realen Bildern. Fließende Übergänge von alltäglich Trivialem in absurde Traumebenen entlarven die Fiktionen des bürgerlich-aristokratischen Milieus. Am Schluss haben auch die jungen Leute keine Chance auf ein anderes, wahres Leben: Die Tochter stirbt, der Student bleibt allein zurück.
RAUSCH von August Strindberg behandelt Aufstieg und Fall und erneuten Aufstieg eines Dramatikers in Paris. Der 30jährige Maurice steht kurz vor dem Durchbruch. Vor der Premiere trifft er seine Freundin Jeanne, mit der er in wilder Ehe mit der bereits 5jährigen Tochter Marion lebt. Maurice erbittet von Jeanne die Freiheit für den Premierenabend und verspricht ihr, sie hinterher an Ehre und Erfolg teilhaben zu lassen. Doch nach dem großen Premierenerfolg verbringt er die ganze Nacht mit der verhängnisvoll verführerischen Künstlerin Henriette, die er seinem besten Freund, dem Künstler Adolphe, ausgespannt hat. Schuldgefühle plagen ihn wegen des Verrats an der Mutter seines Kindes und seinem besten Freund. Als am nächsten Morgen auch noch Marion tot aufgefunden und er des Mordes verdächtigt wird, fällt Maurice in eine tiefe Existenzkrise. Das Stück wird sofort wieder abgesetzt, der Plagiatsvorwurf erhoben, Maurice zerfleischt sich zwischen Vorwurf, Reue, Schuld und schließlich Sühne. Nicht zufällig bezieht sich Strindberg im Originaltitel "Verbrechen und Verbrechen" auf Dostojewskis großen Roman. Dabei nehmen Maurice' Mitstreiter jeweils andere moralische Standpunkte ein und schaffen so einen über den Plot hinausgehenden moralphilosophischen Diskurs, der das Stück der naturalistischen Form enthebt und bereits weit in die Moderne weist. Jeanne und Adolphe sind die Humanisten. Sie sind die besten Freunde: weise, gnädig, verständnisvoll, tolerant. Sie verkörpern das Gute im Menschen, das Gewissen und die Fähigkeit, sich selbst und anderen verzeihen. Der Untertitel "Komödie" verweist auch auf das idealistische Menschenbild und die humanistische Moral: Wer bereut, bekommt eine zweite Chance. Maurice wird am Ende rehabilitiert. Der Abbé steht für die konservative Institution, für Buße und Absolution durch eine höhere Instanz. Henriette steht für die Gewissenlosigkeit, die Freiheit gewährt, aber in Verlust von Liebe und Beziehungen führt. Maurice steht für den modernen Menschen, der seine Taten nur vor sich selbst und seinem Gewissen verantworten kann und muss. Die Modernität von Strindbergs "Verbrechen und Verbrechen" zeigt sich auch in Stil und Sprache. Die Figurenzeichnung geht über die naturalistische Darstellung hinaus und trägt stark expressionistische Züge. Schlimme Vorahnungen, Schuldgefühle und psychische Schmerzen bestimmen die Figuren. Das Stück gehört zu den ersten "Nach-Inferno-Stücken" und steht damit am Anfang von Strindbergs Spätwerk, in dem er zunehmend dem Expressionismus, Surrealismus, Absurdismus und anderen Formen des modernen Dramas vorausgreift.
Unterschiedlicher könnten die beiden Reisenden kaum sein, die im Nirgendwo aufeinandertreffen: Papagei Paula – bunt, laut, schnell – liebt es warm, fruchtig und luftig. Und Pinguin Pinkus – schwarzweiß, ruhig, langsam – liebt es kalt, fischig und nass. Das kann ja heiter werden mit dem gemeinsamen Urlaub – wird es auch! Denn andere Lebensweisen können ja schließlich nicht nur fremd, sondern auch reizvoll sein, sogar reizend. Und Spaß machen.
Ein Mann der freiwillig die Wäsche macht, die Wohnung putzt und alles tut, was seine Frau ihm aufträgt. Ein Traum, oder? Doch als Dani genau das bei ihrem Mann Marc feststellt, fühlt es sich zuerst an wie im dystopischen Alptraum. Denn Marc führt nicht nur ihre Bitten wortgenau aus, sondern benimmt sich auch sonst als sei er ein Android. Genauer gesagt der CMX Punkt 9 Typenklasse 7700 Superservicepremiumroboter Baureihe 3 der fünften Megamagnumhumanklassengeneration. Aus irgendeinem Grund ist der sehr menschliche Marc zu einer Maschine mutiert und Dani muss nun mit allen Unwägbarkeiten, die das mit sich bringt, umgehen. Für Sie beginnt eine aufregende Suche nach dem Ursprung der Wandlung, die mit einer überraschenden Erkenntnis endet. Heiko Buhr erschafft eine komödiantische Versuchsanordnung, die das Zusammenleben mit künstlicher Intelligenz auf Korn nimmt und in der es trotz Robotern gehörig menschelt.
Juzek Kowalski hat ein Problem: Er muss sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung unterziehen, um seinen Job als Abgesandter der deutsch-polnischen Gesellschaft für Völkerverständigung auf dem Hochkultursektor wiederzuerlangen. So begibt er sich auf eine turbulente Reise durch seine Jugend, zwischen Hochkultur und Proletariat, zwischen Ost und West. Nicht ganz freilwillig muss er sich mit seiner Integration in Ostdeutschland auseinandersetzen, deren Geschichte mehr oder weniger gelungen, aber stets unterhaltsam ist. Mit IM OSTEN WAS NEUES beleuchtet Łukasz Ławicki mit teils schmerzhaftem Humor die Realität junger Migrant:innen in Ostdeutschland Ende der 90er Jahre.