Im Kaiserreich gibt es einen Vogel, der unvergleichlich schön singt. Als der Kaiser von der Nachtigall erfährt, will er sie um jeden Preis zu sich in den Palast holen. Tatsächlich wird er vom Gesang des scheuen Vogels völlig verzaubert. Nichts wünscht er sich nun mehr als diesen Gesang jederzeit hören zu können. Er bricht das Wort, das er der Nachtigall gegeben hat: Sie darf nicht wieder gehen, sondern wird gefangen genommen. Es missfällt dem Kaiser, dass die Nachtigall vom ständigen Singen erschöpft ist. Als eine mechanische Nachtigall als Geschenk am Hof eintrifft, ist die Freude daher groß. Der echte Vogel wird ignoriert – und nutzt die Gelegenheit zur Flucht. Der Kaiser kann nun Vogelgesang hören, wann immer er möchte, doch seltsamerweise fühlt er sich zunehmend schlecht. Erst als die Mechanik des künstlichen Vogels versagt, erkennt der Herrscher, was er getan hat. Das Märchen von Hans Christian Andersen lässt in der Bearbeitung von Jan Steinbach zahlreiche Verbindungen in unsere Zeit erkennen: das Risiko von ständiger Verfügbarkeit, das hohe Gut der Freiheit und der Wert echter Anerkennung.
Sterben und Erben: Elfi könnte es sich an ihrem 80. Geburtstag gut gehen lassen, beim Tortenessen mit der Familie. Wenn die Torte nur nicht von einem toten Wirt stammen würde, wenn die Familie nicht gar so missraten wäre und wenn das Konzept Erben nicht in den besten wie in den schlechtesten Familien zu Neid und Zerwürfnis führen würde.
Ein plötzlicher Erdrutsch treibt sieben Menschen in eine Unterführung. Doch statt gemeinsam die offensichtliche Gefahr anzuerkennen, interpretieren sie die Situation völlig unterschiedlich. Uneinigkeit herrscht selbst über die Ursache ihres Eingeschlossenseins. BAHNUNTERGANGSSTIMMUNG ist ein „kleiner surrealer Verhau“ (Oehmann), der sich im Vergleich zur postfaktischen Realität aber schnell durchsteigen lässt. Oder nicht?
Zwei Männer treffen sich zu einer Runde Tennis. „ER“ hat eine Katze überfahren. So halb. Ob sie noch lebt, ist ungewiss, denn sie ist verschwunden. „DER ANDERE“ stellt sich vor, wie die halbe Katze zu ihrer Besitzerfamilie zurückkehrt. Ein Gespräch über Wirklichkeit und Illusion, Theater und Film beginnt, bis eine Frau auftaucht. „DIE, DIE SINGLE IST“. Sie sucht ihre Katze, die gerne mal unter Autos liegt. „ER“ weicht aus und startet über Facebook einen Aufruf, der bald mehr wird als die Suche nach einer Katze. Die Realität wird mehr und mehr zur Show … Bis ein Anruf alle auf den Boden der Tatsachen zurückholt. SUDDEN DEATH handelt von Verleugnung, den Wirrungen des Lebens und auch ein bisschen vom Tennis. Wie Geschichten, die wir uns über das Leben erzählen – in Filmen, in den Nachrichten, in sozialen und unsozialen Medien – Erwartungen wecken, die vielleicht nicht ganz der Realität entsprechen. Was ist richtig, wenn jeder ein Recht auf seine eigene Wahrheit hat? Petter S. Rosenlunds Stück ist eine intelligente Satire auf eine Mediengesellschaft, in der die Fiktion realer wird als die Wirklichkeit. Denn eine gute Geschichte übertrumpft manchmal die Wahrheit.
Eine trauernde Mutter rekonstruiert mit Hilfe des Unternehmens Osiris ihre verstorbene Tochter Aurore virtuell. Denn Osiris ist im Besitz einer neuen Technologie. Diese ermöglicht den Lebenden, weiterhin mit den Toten in Kontakt zu bleiben. Die Mutter nutzt die Technologie, um eine perfekte Version ihrer Tochter zu kreieren, deren Selbstmord sie überfordert. Es hilft ihr, die Trauer zu bewältigen, doch sie wird auf eine unrealistische Erinnerung fixiert. Ihre Familie hingegen steht diesem Projekt skeptisch gegenüber und befürchtet, Osiris nutze ihre Trauer aus. Ihr Mann bevorzugt eine Flatrate, mit der er Nachrichten an die Tote schicken kann. Mit einem Unterschied, er hat den Tod seiner Tochter akzeptiert. Seine Frau wird zunehmend von der Simulation abhängig, die Osiris geschaffen hat.
Viktor, ein forschender Mediziner, hat eine Vision: das Bewusstsein des Menschen im Moment seines Todes zu destillieren, um es dann in einen anderen, lebenden Körper zu überführen. Mit seiner Idee will er der grassierenden Übermacht von KI in sämtlichen Bereichen das Urmenschlichste überhaupt entgegenstellen: die Seele. Viktors Freundin Elisabeth, eine erfolglose Künstlerin, beobachtet seine Forschung mit Skepsis. Als ein weiteres Experiment misslingt, ist sie im Begriff, sich von ihm zu trennen. Doch dann taucht überraschend Viktors todkranker Jugendfreund Henri auf und verändert alles.
Auf der Straße lernt eine Frau einen jungen Mann kennen. Dieser junge Mann scheint ihr fremd – in jeglicher Hinsicht: Er gibt sich als Opfer, das gern einmal Täter wäre. Die Frau hält den Mann für einen Idioten. Doch irgendetwas an ihm fasziniert sie. Weshalb sie ihn mitnimmt. In ihrer Hotel-Suite lernt die Frau den geschundenen jungen Mann, der sich ihr als Gärtner-Azubi vorstellt, näher kennen. Als sie in ihm den Erlöser der Welt, den Salvator Mundi, zu erkennen vermeint, reift in ihr ein perfider Plan. Carsten Brandau verwebt Dostojewskijs „Der Idiot“ mit den Geschehnissen um den sogenannten Siegerländer Bauhofprozess, bei dem es um die langjährige Misshandlung eines Auszubildenden durch seine Kollegen ging.
In Moskau taucht ein vermeintlicher Professor der schwarzen Magie auf: Woland und bringt gemeinsam mit seinem »Gefolge«, dem unter anderem der sprechende Riesenkater Behemoth angehört, ordentlich Aufregung in die Stadt. Köpfe rollen und Menschen werden verrückt. In der Psychiatrie treffen zwei Dichter aufeinander, von denen einer sich nur »Meister« nennt und von seiner verlorenen Liebe, Margarita, erzählt. Margarita selbst wird von Woland zur Ballkönigin ernannt und erlebt Überirdisches. Am Ende sind die Liebenden wieder vereint – aber wird ihre Liebe alle Ereignisse überdauert haben? Sabeth Braun und Armin Petras haben Bulgakows magisch verrückten Großstadtroman für die Bühne bearbeitet und sich dabei auf Alexander Nitzberg großartige Übersetzung gestützt.
Mit Begeisterung liest Don Alonso Quesada Ritterromane. Als Don Quijote macht er sich auf den Weg, es seinen Helden gleichzutun. Doch Fantasie und Realität geraten ihm arg durcheinander. Während er in Windmühlenflügeln einen vielarmigen Riesen sieht, den es zu bekämpfen gilt, träumt sein Knecht Sancho Pansa von einem saftigen Braten und einem Schläfchen im Schatten. In Don Quijotes kreativem Irrwitz und Sancho Pansas sinnfrohem Realismus treffen gegensätzliche Sichtweisen auf die Welt berührend und urkomisch aufeinander.
„Otto, was haben wir uns nur dabei gedacht?!“ Frau Anna ist nicht recht zufrieden mit ihrer Situation. Sie muss als Vermieterin ihren Hausbewohnern ständig hinterherräumen. Gratsche, Ewgenij, Matuschka und Paul wissen in zeitlosen Nächten nicht viel mehr zu tun, als zu warten und auszuhalten, dass nichts passiert. Vielleicht könnte Herr Otto, Frau Annas Mann, helfen, aber der schläft die ganze Zeit. Dann bleibt nur, sich zu betäuben, nach Worten zu suchen, nach Nähe und nach einem Ausweg. „So viel Mühe. So viel Arbeit.“ Ach ja: Herr Otto ist Gott.